作为研究领域的中世纪科学史

Die Wissenschaftsgeschichte des Mittelalters als Forschungsfeld

出处:Marianne Sommer et al. (eds.), Handbuch Wissenschaftsgeschichte (Stuttgart: J. B. Metzler Verlag, 2017), pp. 132–136.

Manche Aspekte unseres Fachs sind zwar schon ab dem späten 18. Jahrhundert von einzelnen Forschern untersucht worden, doch als Forschungsfeld trat die Wissenschaftsgeschichte des Mittelalters erst im frühen 20. Jahrhundert hervor. Katalysator dafür war eine Serie provokativer Behauptungen über die Rolle der »Philosophie der Natur« im Paris des 14. Jahrhunderts als neuer Meilenstein auf dem nur in Bruchstücken bekannten Weg, der die griechische Antike mit Isaac Newton verband. Hatte der auslösende Impuls noch einen nahezu ausschließlich europäischen Fokus, so hat sich das durch ihn angeregte Feld bis heute sowohl chronologisch als auch geographisch weit über seine ursprünglichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Es scheint bereit, sich zu »globalisieren« (Sivin 2009).

Bevor aber die Wissenschaft im Mittelalter zum Forschungsfeld für Historiker werden konnte, musste sie mehrere Jahrhunderte der Verachtung überstehen. In The Advancement of Learning schrieb der englische Philosoph Francis Bacon (1561–1626) über die »degenerierte Bildung« der Scholastiker, die sich »stets von der Offenbarung der Werke Gottes abgewandt haben, um die trügerischen und deformierten Bilder anzubeten, die ihnen der Zerrspiegel ihres eigenen Geistes oder einige überkommene Autoren oder Prinzipien vorhielten« (Bacon 1605/1852, 171; cf. Lindberg 1990, 3–5). Noch Jahrhunderte lang dachte man so: Bei Voltaire (1694–1778) ist von der Degenerierung des menschlichen Geistes nach dem Fall Roms die Rede (Voltaire 1905, 54), und in Cambridge betrachtete der Philosoph und Historiker William Whewell (1794–1866) das Mittelalter als eine »lange und unfruchtbare Periode […] des Stillstands in der Wissenschaft« (Whewell 1837/1857, Bd. 1, 181). Aller guten Bildung zum Trotz versteht sich die Gültigkeit solcher Darstellungen seither für Viele von selbst. Niemand hat sie stärker verbreitet als der Astronom Carl Sagan (1934– 1996), dessen TV-Serie Unser Kosmos (Cosmos: A Personal Voyage) in den frühen 1980er Jahren von einer halben Milliarde Zuschauer verfolgt wurde: Im gleichnamigen Buch von 1980 lässt eine Zeitleiste der Astronomie von der griechischen Antike bis zur Gegenwart zwischen dem fünften und dem späten 15. Jahrhundert eine wohlbekannte 1000-jährige Lücke, die der Autor als »poignant lost opportunity for the human species« (Sagan 1980, 335) bezeichnet. Hier spiegelt sich wohl eher Sagans eigene »traurigerweise verpasste Gelegenheit« wider, nämlich die Bibliothek der Cornell Universität aufzusuchen, an der er lehrte. Dort hätte er dicke, zum Teil 200 Jahre alte Bände entdecken können, die sich der Geschichte der Astronomie im Mittelalter widmen. Er hätte außerdem erfahren, dass aus dem angeblichen Vakuum des Mittelalters jene zwei Institutionen hervorgegangen sind, in denen er sein Leben verbrachte: das Observatorium als Forschungseinrichtung (islamische Zivilisation) und die Universität (christliches Westeuropa).

Auch die zehn Bände Le Système du monde von Pierre Duhem (1861–1916), laut Untertitel eine »histoire des doctrines cosmologiques de Platon à Copernic«, die sich im Wesentlichen mit dem Mittelalter befasst, hat Sagan übersehen. Duhem war ein französischer Physiker, der fundamentale Beiträge zur Physik wie zur Wissenschaftsgeschichte und -philosophie geleistet hat. Am Ende seiner Laufbahn entdeckte er mit großem Enthusiasmus, dass die scientia de ponderibus des Pariser Magisters Jordanus Nemorarius bereits im 13. Jahrhundert Auffassungen vorweggenommen hatte, die gemeinhin dem 16. und 17. Jahrhundert zugeordnet wurden (Leonardo da Vinci, Kopernikus, Galilei). So kam er zu der Überzeugung, dass es die im spätmittelalterlichen Paris formulierten Kritiken und Alternativen zur aristotelischen Sichtweise waren, die den Ursprung der modernen Naturwissenschaft markierten. Paradoxerweise behauptete Duhem jedoch, der Bischof von Paris habe 1277 durch Ächtung von 219 durch Magister der Universität verbreitete Thesen das Denken ihrer Nachfolger aus der aristotelischen Schablone befreit. Diese erstaunliche Auffassung entwickelte Duhem in drei mehrbändigen Arbeiten, die bald viele neue Untersuchungen zur Wissenschaft im christlichen Mittelalter anregten.

Duhem hatte den missionarischen Eifer eines jungen Konvertiten und die nötige Redegewandtheit, ihn zu untermauern. Im Vorwort zu Les Origines de la statique (1905–6) stellt er fest, dass die Mechanik und die Physik »durch eine ununterbrochene Reihe kaum wahrnehmbarer Verbesserungen« aus Lehren hervorgingen, die an mittelalterlichen Universitäten vertreten wurden (Duhem 1905–1906, iv; Cohen 1994, 45–53). Er glaubte zweifellos an die Existenz einer modernen (d. h. anti-aristotelischen) Wissenschaft, doch sie war früher in Erscheinung getreten als er ursprünglich gedacht hatte. Seine Verteidigung eines inkrementellen Wandels war keiner generalisierten historischen Einsicht geschuldet sondern allein der Notwendigkeit, die falsche Datierung der zur »naturwissenschaftlichen Revolution« führenden Renaissancen zu verwerfen.

Es ging Duhem also nicht um die Anerkennung der Bedeutung mittelalterlicher Wissenschaft im Allgemeinen. Auf die anti-aristotelischen Leistungen des 14. Jahrhunderts machte er aufmerksam, indem er ihre konzeptuelle Verbindung zur Physik und Astronomie des 16. und 17. Jahrhunderts hervorhob. So zurückhaltend dieser Angriff auf die Diskontinuität eines Jahrtausends des Nichts auch gewesen sein mag, er reichte aus, um seine Geschlossenheit aufzubrechen. Zugleich war Duhem Vertreter der Kontinuität in einem ganz engen Sinne. Die konzeptuelle Kontinuität anti-aristotelischen Denkens zwischen dem 14. und dem 16./17. Jahrhundert überbrückte die temporäre Diskontinuität eines Rückfalls zu aristotelischen Anschauungen im 15. Jahrhundert. Trotz ihrer geringen Reichweite entfachte Duhems Forschung eine »Kontinuität–Diskontinuität-Debatte« über die Zusammenhänge zwischen der Wissenschaft im Spätmittelalter und der »naturwissenschaftlichen Revolution«, die bis in die 1960er geführt wurde und noch heute gelegentlich aufflammt.

Duhems These ist zwar durchgehend auf Paris bezogen, in Sozein ta phainomena (1908, Rettung der Phänomene) und Système du monde (1913–1959) berührt er aber auch außereuropäische Regionen. So taxiert Duhem in seiner Darstellung der arabischen Wissenschaft beispielsweise den islamischen Beitrag zur Astronomie als geschmälert durch mechanische Modelle, die zu nichts führten und die Unfähigkeit des semitischen Geistes zum abstrakten oder logischen Denken illustrierten (Ragep 1990). Dieses Urteil fügte sich nahtlos in die hartnäckige Vorstellung von der islamischen Zivilisation als Archiv griechischer Texte, die geduldig der lateinischen Übersetzung harrten.

Duhems Impetus verdankt die Wissenschaftsgeschichte des Mittelalters ihre vitale Erforschung zu Beginn der 1920er Jahre, insbesondere in den USA. 1924 wurde die History of Science Society gegründet, um den Fortbestand der wissenschaftshistorischen Zeitschrift Isis (1913–) zu gewährleisten. Deren Gründer und Herausgeber war George Sarton, ein belgischer Mathematiker, der die Wissenschaftsgeschichte als Menschheitserbe verstand und förderte. Anders als Duhem war Sarton Internationalist und sein Journal erfasste die Forschung weltweit, die mittelalterliche Wissenschaft Chinas, Indiens und der arabischen Zivilisation eingeschlossen. Noch spät in seinem Leben lernte er Arabisch und betreute die Forschung seines türkischen Doktoranden Aydin Sayili, der 1942 mit einer bahnbrechenden Institutionengeschichte der arabischen Astronomie promovierte (Sayili 1960/1981).

Die frühen 1920er Jahre brachten vier einflussreiche Veröffentlichungen hervor, die jeweils einen anderen Verlauf der Wissenschaft im Mittelalter skizzieren. Die Autoren – Charles Homer Haskins (1870–1937), Lynn Thorndike (1882–1965), Eduard Jan Dijksterhuis (1892–1965) und E. A. Burtt (1892–1989) – bilden ein zufälliges, aber doch eindrucksvolles Quartett, dessen Einfluss nicht nur die Wissenschaftsgeschichte des Mittelalters formte, sondern noch weit über sie hinauswirkte. Im Unterschied zu Sarton und den meisten seiner Kollegen waren Haskins und Thorndike ausgebildete Historiker und ihre Anschauungen waren im Grundsatz stärker kontextbezogen als die der frühen Wissenschaftshistoriker mit naturwissenschaftlicher oder philosophischer Ausbildung, die sich mit den Beziehungen von Ideen zufriedengaben. Sowohl Haskins als auch Thorndike erkannten die zentrale Bedeutung der arabischen Wissenschaft für ihr Hauptrevier, das christliche Westeuropa im 12. und 13. Jahrhundert vor Duhem. Thorndike publizierte 1923 A History of Magic and Experimental Science in zwei Bänden, die er »im Laufe des 14. Jahrhunderts« enden lässt, »als die Wiederbelebung des Mittelalters ihre Kraft aufgebraucht hatte« (Thorndike 1923–1924, Bd. 1, 3). Die Entdeckung der Werke Duhems muss ihm einen Schrecken eingejagt haben, doch führte der Schock noch einmal zu zwei Bänden über das 14. und 15. Jahrhundert (1934) und wiederum zu vier weiteren, die mit Newton schließen. Thorndike unterstützte den Kontinuitätsgedanken durch die Gegenüberstellung von Duhems Behauptungen, die er erweiterte, und noch älterem arabischen Material, dessen Gewicht für sein Fach er betonte. Zeitgenossen wie Sarton verachteten Thorndikes Vorliebe für Magie und Astrologie, von der er gerne glaubte, sie bei den frühneuzeitlichen Helden der Wissenschaft entdecken zu können, doch posthum trug Thorndikes vielseitiger kontextueller Weitblick den Sieg davon.

1924 gab der Titel von Haskins Studies in the History of Mediaeval Science dem entstehenden Forschungsfeld seinen Namen, wobei das Buch inhaltlich bewusst auf das 12. und 13. Jahrhundert in Europa fokussierte. Haskins hatte Duhem gelesen, doch anders als dieser schenkte er der »Wissenschaft bei den Arabern« größte Aufmerksamkeit und hob ihren Beitrag zum »Revival« hervor, das zum zentralen Interesse seines Klassikers Renaissance of the Twelfth Century (1927) wurde. Der Titel war subversiv, bekleidete er doch ausgerechnet das Hochmittelalter mit einem Terminus, der geprägt worden war, um »nachmittelalterlich« auszudrücken. Haskins Werk als Anschluss zu Duhem hat einen ungleich längeren Kontinuitätsbeleg hervorgebracht, der sich nicht nur vom 12. Jahrhundert bis in die frühe europäische Neuzeit, sondern auch weiter zurück in die Vergangenheit erstreckt, wo die Geschichtsschreibung nun erstmals bewusst an die islamische Zivilisation anknüpft.

Eine prominente Rolle spielt Duhem auch im Werk von Eduard Jan Dijksterhuis, einem niederländischen Mathematik-Lehrer, der mit Anfang 60 Universitätsprofessor in Leiden wurde. Mit Val en Worp (1924) legte er eine Geschichte des freien Falls und der Projektilbewegung von Aristoteles bis Newton vor. Trotz chronologischer Sprünge lieferte das Buch implizit ein konzeptuelles Kontinuitätsargument, indem es das Thema in drei aufeinanderfolgenden Phasen präsentiert – Antike, Mittelalter und Neuzeit. Die Gemeinschaft der Wissenschaftshistoriker hatte Dijksterhuis’ niederländische Arbeit bis etwa 1960 kaum zur Kenntnis genommen, als ein neues Buch in englischer Übersetzung erschien, The Mechanization of the World Picture, eine einflussreiche, von der Antike bis zur naturwissenschaftlichen Revolution greifende Synthese (Dijksterhuis 1961; Cohen 1994, 59–73).

Eine ganz andere Lesart Duhems, und zwar eine mit tiefgreifenden Konsequenzen, tritt in E. A. Burtts Metaphysical Foundations of Modern Physical Science (1924) zu Tage. Burtt kannte natürlich die vielbändigen Werke Duhems, bezog sich aber speziell auf dessen Sozein ta phainomena, das den metaphysischen Realismus (wonach Theorien die Struktur der realen Welt abbilden sollen) scharf gegen den Instrumentalismus (wonach Theorien unabhängig von ihrem Wirklichkeitsanspruch als Hypothesen dienen) abgrenzte. Duhem hatte Kopernikus, Galilei und Kepler als verirrte metaphysische Realisten dargestellt, die den nüchternen Instrumentalismus ihrer erfolgreichsten Vorgänger zwar verworfen, aber dennoch zur (instrumentalistischen) mathematischen Weltsicht der Newtonschen Mechanik beigetragen hatten. Burtt gefiel Duhems Vorlage. Das Studium der metaphysischen Wandlung vom mittelalterlichen zum modernen physikalischen Denken erlaubte ihm, mit etwas Abstand jene zu ergründen, die sich von der Physik Newtons bis zur Relativitätstheorie für seine eigene Zeit abzeichnete. Tiefe Ironie liegt in dem Umstand, dass das auf Duhems Auffassung von einer metaphysischen Diskontinuität aufbauende Werk E. A. Burtts nun seinerseits Alexandre Koyré (1892–1964) inspirierte, einen jungen russischen Emigranten in Paris, der zu einem der eisernsten Verfechter der wissenschaftlichen Revolution als Ergebnis metaphysischer Diskontinuität zur mittelalterlichen Vergangenheit werden sollte (Cohen 1994, 100 ff.).

Koyrés Diskontinuitätsargumentation indes hatte nicht so sehr Duhem sondern eher Alistair C. Crombie (1915–1996) im Visier, einen australischen Zoologen in Oxford, der sich der Wissenschaftsgeschichte zugewandt hatte. Dieser sah den Ursprung des Experimentalismus der wissenschaftlichen Revolution in mittelalterlichen Varianten der aristotelischen Methodologie, insbesondere im Werk des Robert Grosseteste (✝1253), folgte also keinesfalls Duhem. Die aristotelische Tradition war kein lebendes Fossil. Quicklebendig und ungeachtet ihrer schlechten Reputation entwickelte sie sich weiter und befruchtete selbst Galilei im 17. Jahrhundert (Crombie 1952, 1953; zur Kontinuitätsdebatte s. Koyré 1956; McMullin 1965; Eastwood 1992; Lindberg 2008, 357–367).

Heute stehen Historiker mittelalterlicher Wissenschaft häufig als Verteidiger der Kontinuität im Verdacht, was vielleicht an den Kontinuitätsthesen der vielgelesenen synthetischen Abhandlungen von Crombie und Dijksterhuis liegt. Es sollte nicht übersehen werden, dass andere Kollegen sogar Duhems verhaltene Forderung nach konzeptueller Kontinuität zwischen dem 14. und dem 17. Jahrhundert mit Skepsis betrachtet haben. Zwei der prominentesten unter ihnen haben auf die Diskontinuität der wissenschaftlichen Theorien und Praktiken dieser Jahrhunderte hingewiesen, die ausgeprägter war, als sich bei Duhem lesen lässt: Anneliese Maier (1905–1971), die den größten Teil ihres Berufslebens als Privatgelehrte in Rom verbrachte, wo sie maßgebliche Beiträge zu unserem Verständnis der Naturwissenschaft im 14. Jahrhundert erarbeitete (Maier 1949, 1952 und 1958); und Marshall Clagett (1916–2005), ein Student Lynn Thorndikes an der Columbia University und spezialisiert auf mittelalterliche Mathematik und Mechanik, der dazu beitrug, die erste autonome Abteilung für Wissenschaftsgeschichte an der Universität von Wisconsin zu etablieren, wo er eine »Schule« von Historikern mittelalterlicher Wissenschaft ausbildete, mit ihnen maßgebliche Werke der Mechanik, Mathematik und Kosmologie editierte, übersetzte und interpretierte und so viele mittelalterlichen Schriften leichter zugänglich machte (Clagett 1959).

Die unwägbare Weltpolitik in Kombination mit besonderen institutionellen Gegebenheiten führte um und nach dem zweiten Weltkrieg in der nordamerikanischen Wissenschaftsgeschichte zu einem wahren Ausbruch an Aktivität. Immigranten wie Otto Neugebauer (1899–1990) und seine »Schule« an der Brown University trugen außerordentliche Arbeiten über die exakten Wissenschaften von der Antike bis Kepler bei, darunter auch solche über das mittelalterliche Griechisch, Latein und Arabisch, und durch David Pingree (1933–2005) sogar über Sanskrit. A. I. Sabra (1924–2013) kam über London aus Alexandria in die Vereinigten Staaten. Seine eigenen Arbeiten und die einer Gruppe von Studenten in Harvard hatten nachhaltige Wirkung auf die Forschung zur islamischen Wissenschaft des Mittelalters.

Die Erforschung der Wissenschaft im Mittelalter wurde immer mit international vereinten Kräften vorangetrieben, ein glücklicher Umstand, der fortgesetzt werden muss, wenn das Fach überleben soll. An der Universität Barcelona hatte viele Jahre lang Josep María Millàs Vallicrosa (1897–1970) den Lehrstuhl für Hebräisch und Arabisch inne. Von den 1920er bis in die 1960er Jahre widmete sich seine Forschung der mittelalterlichen Wissenschaft in Spanien und Katalonien. Durch sein Engagement und das seiner Studenten wurde Barcelona ein blühendes Zentrum multikultureller Mediävistik. In der Sowjetunion war es A. A. P. Juschkewitsch (1906–1993) am Institut für Naturwissenschafts- und Technologiegeschichte in Moskau, der maßgebliche Beiträge zur Mathematik des Mittelalters, insbesondere arabischer Tradition, leistete. Guy Beaujouan (1935–2007) war ein hervorragender Kodikologe an der École Pratique des Hautes Études in Paris, der ein spezielles Interesse an der mittelalterlichen Wissenschaft Spaniens pflegte. Willy Hartner (1905–1981), ein in Physik promovierter Astronom, baute ab 1943 die Goethe-Universität in Frankfurt a. M. zu einem führenden Zentrum der Wissenschaftsgeschichte aus. Mit leidenschaftlich interkulturellem Ansatz arbeitete er nicht nur mit den üblichen lateinischen und griechischen Primärquellen, sondern auch mit chinesischen, arabischen, und hebräischen (Hartner 1968; Sezgin 2003). Heute sind die meisten Historiker mittelalterlicher Wissenschaft sicherlich in Europa zu finden, mit einer besonderen Verdichtung in Frankreich. Der ägyptisch-französische Professor Roshdi Rashed ist u. a. Herausgeber der Encyclopedia of the History of Arabic Science (Rashed 1996), Autor mehrerer Dutzend Bücher und unzähliger Artikel, die sich in erster Linie der Geschichte arabischer Mathematik und Wissenschaft widmen – seine Karriere ist illustrativ für die Wandlung des Fachs im Laufe des vergangenen Jahrhunderts.

Wie Duhem haben sich viele der frühen Historiker mittelalterlicher Wissenschaft auf Aspekte der Mathematik und Physik konzentriert, insbesondere auf die Mechanik und Optik. Alle befassten sich intensiv mit der »begrifflichen Analyse« von Texten und setzten sich in der einen oder anderen Weise mit der Frage der Kontinuität zwischen der Wissenschaft des Mittelalters und der wissenschaftlichen Revolution auseinander (Wolff 1978). Dass im 20. Jahrhundert die hochangesehene Physik mit der Professionalisierung und schließlich der Institutionalisierung der Wissenschaftsgeschichte (in den 1940er–60er Jahren) zeitlich zusammentrifft, ist wahrscheinlich mehr als nur Zufall. In den letzten Jahren aber hat das Unternehmen Mittelalterliche Wissenschaft größeres Augenmerk auf die Diversität ihres Feldes gelegt, das etwa mit Naturgeschichte, Psychologie, Theorie der Materie, Geographie oder Sexualität auch Themen umfasst, die nicht immer im Blickfeld der Pioniere lagen (Cadden 1993; Newman 1991; Harley und Woodward 1987). Zugleich richtet sich die Aufmerksamkeit erneut auf das Verhältnis der mathematischen, medizinischen und Naturwissenschaften zur Theologie, während jenes zur ungemein wichtigen Disziplin der Rechtswissenschaften in der Forschung noch vernachlässigt wird (s. jedoch van der Lugt/de Miramon 2009; Weigel et al. 2013).

Jenseits der traditionellen Demarkationen europäischer Historiographie lässt die jüngere Forschung hoffen, dass sich sprachliche Grenzziehungen, intellektuelle Geographie und die Periodisierung der Geschichte in einer Weise umgestalten, die ein Überschreiten des üblichen pseudo-nationalen und regionalen Rahmens und eine getreuere Reflexion der zuweilen erstaunlichen interkulturellen Wechselbeziehungen erlaubt, die diesen Zeitraum auszeichnen. Der folgende Abschnitt verzichtet auf eine Revision der Periodisierung der Wissenschaftsgeschichte in Bezug auf die Welt und versucht, die Entwicklungsrichtung der Erforschung mittelalterlicher Wissenschaft durch Betrachtungen aus der uns vertrauteren Perspektive zu illustrieren. Nehmen wir zu diesem Zweck die Sprache des Niedergangs in Augenschein, die eine so prägende Rolle bei der Herausbildung der Kategorie »Mittelalter« innehatte. Wie die Sprache des Fortschritts vermittelt sie Affekte und Annahmen, die das Fragen ersticken und die Forschung behindern. Diese irritierende Problematik hat die Wahrnehmung der traditionellen nachrömischen Zivilisationen – sei es das christliche Westeuropa, die islamische Zivilisation oder das byzantinische Reich – stark beeinflusst, und sie tut es bis heute, in deren Anfang, Mitte und Ende.

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